Dr. Helmut Sonnenschein

Helmut Sonnenschein wurde 1906 in Leipzig geboren. Er studierte an der dortigen Universität Mathematik, Physik und Astronomie und trat im Rahmen einer Assistentenstelle in die Universitätslaufbahn ein. Trotz seiner erfolgreich abgeschlossenen Doktorarbeit wurde er wegen seiner freundschaftlichen Beziehungen zu jüdischen Kollegen, die ins Ausland emigriert waren, angefeindet. Im Dezember 1935 wurde die Kündigung seiner Assistentenstelle zum 1.4. 1936 bestätigt.[1] Im gleichen Jahr fand Helmut Sonnenschein schließlich eine Stelle beim Heereswaffenamt, wo er sich mit mathematischen Problemen auf dem Gebiet der Ballistik befasste.[2] Er trat nach eigenen Angaben 1938 der NSDAP bei[3] wurde aber rückwirkend zum 1. Mai 1937 aufgenommen.[4] Nach drei Jahren als Oberleutnant an der Front wurde er von 1942 bis 1943 erneut mit Entwicklungsarbeiten durch das Heereswaffenamt betraut. Von 1943 bis 1944 lehrte er an einer Unteroffiziersschule in Amberg. Ab 1944 leitete Helmut Sonnenschein eine technische Einheit für Ballistik in Nest bei Köslin (heute Uniescie bei Koszalin), was die Mitarbeit am V2-Projekt mit einschloss. Nach Kriegsende geriet er als hoch spezialisierter Experte zunächst in US-Kriegsgefangenschaft, aus der er nach ca. 2 Monaten entlassen wurde.  Danach kehrte er auf eigenen Wunsch nach Mitteldeutschland, inzwischen sowjetische Besatzungszone, zurück, was später in den Verhören durch den sowjetischen Militärgeheimdienst als Verdachtsmoment gewertet wurde, von den Amerikanern als Informant angeworben geworden zu sein.[5] Da seine Bewerbungen im technisch-mathematischen Bereich zunächst erfolglos waren, versuchte er sich bis 1947 in Dolle bei Magdeburg als Landwirt. 1947 trat er dann eine Stelle in dem unter sowjetischer Leitung befindlichen wissenschaftlich-technischen Büro „Geräte“ in Berlin Karlshorst an. Nach dessen Auflösung fand er Arbeit als Mathematiker und Ingenieur im Konstruktionsbüro Leuna, wechselte aber 1948 zu AGFA in Wolfen.[6]

Aus den der Familie ausgehändigten Dokumenten ist ersichtlich, dass der Haft- und Durchsuchungsbefehl Nr. 776 für Helmut Sonnenschein am 27. November 1950 durch den sowjetischen Geheimdienst MGB (Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR) ausgestellt wurde. Sonnenschein wurde jedoch bereits am 16. November von einem Greifkommando des DDR-Staatssicherheitsdienstes unter dem Vorwand einer angeblichen Vorladung zum Wohnungsamt  verhaftet und anschließend an den sowjetischen Geheimdienst überstellt.[7]  In den 200 Seiten der Sonnenschein-Akte finden sich Verhörprotokolle aus dem Berliner Gefängnis Hohenschönhausen, Befehle über weitere Durchsuchungen der Orte, an denen Sonnenschein gewohnt hatte, Bescheinigungen über die Herausgabe von Sonnenscheins persönlichen Gegenständen. Auch ein Protokoll der Gegenüberstellung Sonnenscheins mit seinem Übersetzer und Freund Maximilian Alexander von Hamm, der – selbst in sowjetische Haft geraten – Sonnenschein in einem Denunziationsbrief beschuldigt hatte, in Kontakt mit der „Bruderschaft“, einer Organisation ehemaliger Wehrmachtsoffiziere, zu stehen, liegt vor.

Am 26. April 1951 um 10.00 Uhr begann die geschlossene Sitzung des Militärtribunals im Fall Sonnenschein in der Militäreinheit 48240. Sonnenschein bekannte sich zwar als nicht schuldig, das Tribunal verurteilte ihn jedoch zum Tod durch Erschießen. Sonnenschein wurde auf Grund des berüchtigten Artikels 58 der „Spionage“ (Artikel 58-6), der „antisowjetischen Agitation und Propaganda“ (58-10-11) und des „Aufrufs zum bewaffneten Kampf gegen das bestehende System“ (58-2) beschuldigt. Sein Fall endet mit einer Urkunde über die Urteilsvollstreckung vom 4. Juli 1951 in Moskau, wohin er im Mai 1951 überführt worden war.

Als ihr Mann spurlos verschwand, war Hildegard Sonnenschein, die mit ihren Kindern in Naumburg geblieben war, im sechsten Monat schwanger. Der neugeborene Sohn wurde wie sein Vater Helmut genannt. Um ihre drei Kinder ernähren zu können, begann sie als Chemielehrerin zu arbeiten. Aus dem Familienarchiv geht hervor, dass Hildegard Sonnenschein Dutzende von Anfragen an verschiedene Organisationen schrieb, um das Schicksal ihres als vermisst gemeldeten Mannes aufzuklären.

Nach einer erneuten Anfrage beim damaligen Generalsekretär der KPDSU Michail Gorbatschow erhielt Familie Sonnenschein im April 1990 erstmals eine offizielle Auskunft über die Anklage, die Verurteilung und die Hinrichtung Helmut Sonnenscheins.

Doch die sowjetischen Behörden bestanden weiterhin auf der Rechtmäßigkeit des Urteils. So verlautbarte noch im April 1990 die Konsularabteilung der sowjetischen Botschaft in Berlin, dass Sonnenschein beschuldigt worden sei, „im Mai 1948 von Gartenfeld, dem Residenten des amerikanischen Geheimdienstes“, rekrutiert worden zu sein. Im Auftrag des Residenten habe Sonnenschein diesem angeblich Informationen über die wissenschaftliche Arbeit des technischen Büros des Ministeriums für Luftfahrtindustrie der UdSSR und den sowjetischen Artillerieübungsplatz gegeben. Außerdem habe er in Briefen seine Bekannten dazu aufgerufen, sich der Armee für den bewaffneten Kampf gegen die sowjetischen Besatzungstruppen anzuschließen. „Neben einem (während der Verhöre abgelegten) persönlichen Geständnis ist Sonnenscheins Schuld durch Zeugenaussagen und anderes Fallmaterial bestätigt. So ist bei der Inspektion festgestellt worden, dass Sonnenschein rechtmäßig wegen Spionage verurteilt worden ist, es gibt keinen Grund für seine Rehabilitierung“ – so das Schreiben der Konsularabteilung.

Erst die Öffnung des Archivs und die erneute Überprüfung des Falles führten 1994 zur Rehabilitierung von Helmut Sonnenschein. Hildegard Sonnenschein starb fünf Jahre später.

Zwischen 1950 und 1953 wurden allein in Sachsen-Anhalt 140 Menschen von sowjetischen Militärtribunalen zum Tode verurteilt. Alle „Volksfeinde“, die 1951 in Moskau erschossen wurden, wurden in einem Massengrab auf dem dortigen Friedhof Donskoje beigesetzt. Helmut Sonnenschein wurde 44 Jahre alt.

Die Tafel der „Letzten Adresse“ für Dr. Helmut Sonnenschein hängt in der Kösener Str. 7 in Naumburg/Saale (Sachsen-Anhalt).

[1] Nach Angaben der Familie Sonnenschein.

[2] Vgl. Blecher, Jens / Wiemers, Gerald: Von den Nazis angegriffen, von den Sowjets erschossen. Eine Erinnerung an Helmut Sonnenschein zu seinem 100. Geburtstag, in: Journal / Universität Leipzig, 4/2006, S. 35, online hier: Journal Universität Leipzig, 4 2006

[3] Nach Angaben der Familie Sonnenschein.

[4] Vgl.   Roginskij, Arsenij / Drauschke, Frank / Kaminsky, Anna (Hrsg.), „Erschossen in Moskau…“ Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953, Metropol Verlag Berlin, 4. Aufl. 2020, S. 414)

[5] Vgl. Verhörprotokoll vom 17. November 1950.

[6] Vgl. Wiemers, Gerald / Blecher, Jens: Von den Nazis angegriffen, von den Sowjets ermordet. Erinnerung an Helmut Sonnenschein, in: Journal / Universität Leipzig 2/2001, S. 27, online hier Journal Universität Leipzig 2 2001

[7] Vgl. Blecher, Jens / Wiemers, Gerald: Von den Nazis angegriffen, von den Sowjets erschossen (wie Anm. 2), S. 34.