Horst Borbe

11.Oktober 2024

Ein Opfer des Kommunismus aus einer Kleinstadt am Rande der Uckermark

Oderberg Anfang der 1950er Jahre. Die Stadt hat den Krieg fast unzerstört überstanden, obwohl im Frühjahr 1945 nur wenige Kilometer entfernt an der Oder fast drei Monate schwere Kämpfe stattgefunden haben. Am Rathaus sind im Putz noch deutlich Einschusslöcher zu erkennen. Einige Fenster sind noch mit Holzbrettern verkleidet, die Druckwelle bei der Sprengung der Stadtbrücke am 19. April 1945 hat Fensterscheiben und Hausdächer beschädigt. Auf dem Marktplatz ist einer Holzwand zu lesen „Jeder patriotische Deutsche wählt die Kandidaten der Nationalen Front des Demokratischen Deutschlands!“

Die meisten Bewohner ertragen die kommunistische Propaganda in geübter Manier, denn das vor wenigen Jahren zuvor untergegangene sogenannte Tausendjährige Reich war diesbezüglich nicht viel anders. In den Straßen hängen rote Fahnen. Viele haben einen dunklen Kreis in der Mitte, dort war früher der weiße Kreis mit dem schwarzen Hakenkreuz aufgenäht.

Seit kurzem sieht man auch wieder die Schwarz-Rot-Goldene Deutschlandfahne auf den Straßen. Die DDR hat die Fahne der Weimarer Republik (noch ohne Hammer und Sichel, die kamen erst 1957) übernommen. Sie ist kein Unabhängiger Staat, die die Sowjetische Kontrollkommission hat weiterhin das Sagen, Präsident der DDR Wilhelm Pieck ist nur eine Marionette.

(In Oderberg/Mark -mit Briefmarke Wilhelm Wilhelm Pieck und Propagandastempel- am 26.07.1951 abgeschickter Brief)

Über allem thront der „Große Führer der Völker“ Jossif Wissarionowitsch Stalin. Er wird gottgleich verehrt und ist Herr über Leben und Tod. Erst am 12. Januar 1950 hat er die Todesstrafe für „Vaterlandsverräter, Spione und Saboteure-Diversanten“ – also gegen Feinde jeglicher Art – wieder eingeführt.1

Das politische Klima in der jungen DDR ist beklemmend. Viele ihrer Einwohner wollen raus aus dieser Gesellschaft, raus aus der Not und Armut, sie wollen auch die Vergangenheit, die Schuld, die Verbrechen der Nazidiktatur und des Zweiten Weltkriegs vergessen, die ein Großteil von ihnen miterlebt und einige auch selbst begangen haben.

Dies ist in Oderberg im Jahr 1951 nicht anders. Es ist kein gutes Jahr, da am Ende drei Einwohner vom Sowjetischen Militärtribunal in Potsdam zum Tode verurteilt worden sind, wovon zwei Urteilte in Moskau durch Erschießen vollstreckt werden. Ein Verurteilter wird zu 25 Arbeitslager „begnadigt“.

Einer von ihnen ist der Schiffsingenieur Horst Borbe. Er wurde am 05. Mai 1908 in Königsberg/Ostpreußen geboren und fuhr zur See bei der Handelsmarine, wo er auch in den 1930er Jahren mehrmals die Vereinigten Staaten besuchte. Im Krieg war er bei Luftwaffe und Kriegsmarine als Kontrollingenieur beschäftigt. Aufgrund einer Verwundung am Kinn verbrachte er nach der Kapitulation mehrere Jahre in Hamburg im Lazarett und kehrte erst 1948 zu seiner Familie zurück, die es als Flüchtlinge in die sowjetische Besatzungszone verschlagen hatte. In Oderberg wurde er in der Werft als Ingenieur eingestellt. Diese Sowjetische-Deutsche Aktiengesellschaft leitete ein sowjetischer Direktor mit einem deutschen Stellvertreter. Da ein ständiger Materialmangel herrschte, gleichzeitig aber hohe Normen zu erfüllen waren und Borbe nicht in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands eintreten wollte, kam es schnell zum Streit mit den Chefs. Er kündigte und war dann bei der Wismut AG und ab Oktober 1950 in der Werft Malz bei Oranienburg angestellt.

Aufnahme der Familie in Oderberg kurz vor der Verhaftung 1951

Im März 1951 hörte Horst Borbe im RIAS, dass der amerikanische Seedienst Leute suchte, was ein verlockendes Angebot für ihn war. Hierdurch kam er in Kontakt zu amerikanischen Stellen, die er mit Informationen über die Werft in Malz und die sowjetischen Truppen um Oranienburg versorgte, um sich Geld für die Überfahrt zu verdienen. Er erhielt dafür beim ersten und einzigen Treffen 10 Westmark und zwei Schachteln Zigaretten. Am 16. April 1951 wurde er auf der Werft in Malz durch das Ministerium für Staatssicherheit verhaftet, da er sich auffällig verhalten hatte. Bei der Durchsuchung seines Büros und des möblierten Zimmers, welches er in Malz zur Untermiete bewohnte, fand man von ihm gefertigte Zeichnungen über die Werft und schriftliche Berichte zu den in der Nähe stationierten sowjetischen Truppen. Am 26. April 1951 übergab ihn das Ministerium für Staatssicherheit an die Sowjetische Kontrollkommission. Die Besatzungsmacht traute den deutschen Vasallen zu nicht zu, derartige Sachverhalte in ihrem Sinne gerichtlich abzuurteilen. Hierfür war das Sowjetische Militärtribunal (военный трибунал войсковой части 48240) in Potsdam zuständig. Dies verurteilte ihn am 01. August 1951 wegen Spionage und Agitation zur Schwächung der Sowjetherrschaft zum Tode durch Erschießen. Am 01. Oktober 1951 wurde das Urteil in Moskau vollstreckt. Seine Leiche verbrannte man im Krematorium auf dem Moskauer Donskoye Friedhof und schüttete die Asche in ein dortiges Massengrab.

Die in Oderberg im Haus Schmidtstr. 3 lebende Familie erfuhr von alledem nichts.

Natürlich hatte die Ehefrau im April 1951 von der Vermieterin des Zimmers in Malz erfahren, dass Horst Borbe verhaftet worden war. Alle Nachfragen bei der Polizei und auch beim Ministerium für Staatssicherheit wurden abschlägig beschieden. Horst Borbe blieb verschwunden. Er existierte praktisch nicht mehr. In Oderberg gab es bald Gerüchte, dass Horst Borbe nach Russland „zum Arbeitseinsatz als Schiffsingenieur“ verschleppt worden sei. Die Ehefrau musste die Wohnung in der Schmidtstr. 3, in der sie mit den Eltern von Horst Borbe wohnte, bald nach dem Verschwinden räumen. Und nicht nur das, sie wurde auch zum Arbeitseinsatz beim Wiederaufbau der Oderberger Eisenbahnbrücke zwangsweise verpflichtet2. Später war sie als Verkäuferin in der HO Verkaufsstelle Berliner Str. 5 beschäftigt, wo sie auch eine Wohnung im Obergeschoss des Hauses hatte.

Nach dem Tod der Schwiegereltern ließ sie ihren Ehemann 1962 durch das Kreisgericht Eberswalde für tot erklären. Die wahren Umstände des Todes erfuhren die Hinterbliebenen erst viele Jahre nach der Wende in Osteuropa. Am 07. April 1998 rehabilitierte die Russische Generalstaatsanwaltschaft Horst Borbe.

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Matthias Bietz

Ortschronist von Oderberg

1 Ein Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 26. Mai 1947 hob die

Todesstrafe in der Sowjetunion auf. https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0013_tod_de.pdf

2Telefonisches Interview mit dem Sohn H. Borbe im Dezember 2024