Abgelehnte Tafeln für Gerhardt und Anna Schubert

Gerhard Schubert wurde am 27. Dezember 1904 in Guben in einer Arbeiterfamilie geboren. Von Beruf war er Schmied und Mechaniker. Seine Frau Anna Schubert (geb. Kohlack), wurde am 19. Mai 1905 in Mückenberg (heute Komorow in Polen) in einer Bauernfamilie geboren. Gerhard und Anna heirateten 1923 und hatten vier Kinder.
Im Zuge der Westverschiebung Polens und der Feststellung der Oder-Neiße-Grenze im Jahr 1945 wurde die Stadt Guben zweigeteilt – der östliche Teil, in dem die Schuberts lebten, kam zu Polen. Aufgrund der im selben Jahr begonnenen Vertreibung der Deutschen aus Polen, von der 4 Millionen Menschen betroffen waren, wurde die Familie in den westlichen Teil der Stadt umgesiedelt, der sich in der sowjetischen Besatzungszone befand. 1946 zogen sie in eine Wohnung in der heutigen Frankfurter Straße 22 (ehemals Freundschaft 22).
An dem neuen Wohnort war Gerhard Schubert als Pianist in einer Kapelle tätig und fand erst 1950 eine feste Anstellung bei der KWU Tiefbau.

Anna Schubert arbeitete als Textilarbeiterin in der Gubener Wolle, die als das wichtigste Unternehmen der Stadt galt und für den Bedarf der Roten Armee bzw. für Reparationsleistungen produzierte. Der älteste Sohn der Schuberts, Wolfgang, absolvierte eine Ausbildung zum Konditor.
Gerhard und Anna Schubert waren Mitglieder der CDU. Auch Wolfgang, der 1948 nach Berlin-Neukölln gezogen war, trat der West-CDU bei. Dabei besuchte er seine Eltern weiterhin in Guben und schickte ihnen alle zwei Wochen mit dem Omnibus Pakete. Seit Dezember 1949 befanden sich in diesen Paketen auch Flugblätter der West-CDU. Bei seinen Elternbesuchen brachte Wolfgang außerdem Zeitungen und Informationsmaterial der West-CDU mit nach Guben, die danach durch mit Hilfe seinen Gubener Parteifreunden durch die Stadt verteilt wurden.
Die Familie Schubert stand seit 1950 im Visier der Staatssicherheit: Die West-CDU wurde von den SBZ- und danach DDR-Behörden als antisowjetische Kampforganisation wahrgenommen. Die Überbringung, Aushändigung und Verbreitung von Informationsmaterialien der West-CDU sowie von Zeitungen und sonstigen Publikationen aus dem Westen galten als „antisowjetische Hetze” und „sowjetfeindliche Agitation”.
Unter Beobachtung der Stasi standen nicht nur die Schuberts, sondern auch 17 weitere Personen, die sich von Zeit zu Zeit in der Wohnung der Schuberts in Guben versammelten. Es handelte sich dabei jedoch nicht um eine planmäßig organisierte Gruppierung, sondern um einen Kreis gleichgesinnter Personen, die sich über die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage im Raum Guben, die aktuellen Verhältnisse, Entwicklungen und Möglichkeiten einer politischen Einwirkung seitens der CDU sowie die Situation dies- und jenseits der Neiße austauschten. Bei diesen Treffen wurde insbesondere darüber diskutiert, für die aus den an Polen abgetretenen ehemaligen Ostgebieten Deutschlands Vertriebenen einen Lastenausgleich zu erwirken, wie er in der BRD beschlossen und gewährt wurde.
Gerhard, Anna, ihren ältesten Sohn Wolfgang und ihre mittlere Tochter Brigitte Schubert, die damals 18 Jahre alt war wurden am 3. August 1950 von der Volkspolizei verhaftet. Vier Tage später wurden sie in das Gefängnis Potsdam-Lindenstraße, im Gefängnisjargon „Lindenhotel“ genannt, überführt. Dieses Gefängnis gehörte der Stasi, mit der die Volkspolizei eng verbunden war.
Laut Berichten der Volkspolizei waren sie Mitglieder der sogenannten Schubert-Widerstandsgruppe – benannt nach Wolfgang Schubert –, der zum Zeitpunkt der Verhaftung in Berlin-Neukölln angemeldet war, das zum amerikanischen Sektor West-Berlins gehörte. Wahrscheinlich wollte die Stasi damit den spionagefeindlichen Charakter dieser Gruppe besonders „hervorheben”. Sie wurden nach Artikeln des sowjetischen (!) Strafgesetzbuches angeklagt, und zwar „Bildung einer illegalen antisowjetischen Spionage-Organisation”, „antisowjetische Propaganda und Agitation”, „antisowjetische Spionage”, „Diversion im Sinne von konterrevolutionärer Betätigung gegen die Sowjetunion” sowie „Nichtanzeige antisowjetischer Verbrechen” (gem. §58, 6, 9, 10, 11, 12 des Strafgesetzbuches der RSFSR).
Das SMT Nr. 48240 verurteilte Gerhard, Anna und Wolfgang Schubert am 4. April 1951 in Potsdam zum Tode durch Erschießen. Das Präsidium des Obersten Sowjets lehnte ihr Gnadengesuch am 22. Juni 1951 ab, und das Urteil wurde fünf Tage später, am 27. Juni 1951, in Moskau vollstreckt. Brigitte Schubert wurde zu „25 Jahren Freiheitsentzug im Arbeitsbesserungslager (ITL)” verurteilt und nach Workuta transportiert. Sie wurde am 10. Oktober 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, aus dem Lager entlassen, kehrte nach Deutschland zurück und ließ sich in München nieder. Bereits am 12. März 1957 stellte sie einen Antrag beim Suchdienst des Roten Kreuzes bezüglich des Schicksals ihres Vaters, ihrer Mutter und ihres Bruders. Doch erst 42 Jahre später, am 21. April 1999, informierte das Institut für Archivauswertung sie darüber, dass ihre Familienangehörigen in Moskau erschossen worden waren.
Zum Tode verurteilt wurden außerdem elf Personen, die sich bei Gerhard und Anna Schubert in Guben versammelt hatten bzw. Mitstreiter von Wolfgang Schubert waren. Unter ihnen waren der Studienrat Dr. Paul Heymann, der Regierungsinspektor Otto Stichling, der Arbeiter Erich Schulz, der Angestellte der VEAB Potsdam Günter Murek, der Angestellte beim Arbeitsamt Guben Herbert Länger mit seiner Ehefrau Erna Länger, der Arbeiter Wolfgang Mertens und der evangelische Pfarrer in Fürstenberg Reinhard Gnettner. Zusammen mit Brigitte Schubert wurden Angestellte Brigitte Batke, Herbert Schneider und Heinz Städter, die Bahnarbeiterin Selma Drescher, der Militär Walter Mai, der Privatunternehmer Walter Raidow, der Elektriker Paul Murtzek, der Schiffseigner Gerhard Paschke und die Rentnerin Hermine Schlatter zu 25, 15 oder 8 Jahren Lagerarbeit verurteilt. Ihr Urteil wurde als „endgültig“ eingestuft und unterlag nicht der Berufungsordnung.

Am 22. Juni 1995 stufte die russische Militärstaatsanwaltschaft die Fälle von Gerhard, Anna, Wolfgang und Brigitte Schubert sowie der gesamten Schubert-Gruppe als politische Repression ein und rehabilitierte sie vollständig.
Im Jahr 2024 unternahm ein Aktivist des Projekts „Letzte Adresse” den Versuch, Gedenktafeln für Gerhard und Anna Schubert an ihrem ehemaligen Wohnhaus in Guben anzubringen. Er stellte eine Anfrage an das Standesamt der Stadt Guben, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schnell und mit großem Interesse auf die Tätigkeit des Projekts reagierten. Sie bestätigten, dass Gerhard und Anna Schubert in dem Haus in der Frankfurter Straße 22 wohnten, das sich heute in Privatbesitz befindet. Freundlicherweise gaben sie auch die Kontakte des Hauseigentümers namens Alexander R.
Herr Alexander R. zögerte jedoch, seine Zustimmung zur Anbringung der Gedenktafel zu geben. Seiner Meinung nach ist das Thema der Opfer des Kommunismus derzeit sehr heiß und die Fassade des Hauses könnte durch die Anbringung der Gedenktafeln beschädigt werden bzw. es könnte zu Vandalismus kommen. Daraufhin konzipierte Dr. Peter Ulrich Weiß, der Referent für Historische Forschung, Gedenkstätten und Publikationen bei der LAkD, einen Unterstützungsbrief, in dem er versicherte, dass bislang noch keine Vandalismusfälle bekannt geworden seien (lediglich in Berlin habe sich ein einziges Mal ein illegales Abschrauben ereignet) und es ein großartiger Erfolg wäre, wenn die Idee der „Letzten Adresse” auch in Guben umgesetzt werden könnte.
Auch Dr. Anke Giesen aus dem Vorstand von Memorial Deutschland e. V. hat ein Unterstützungsschreiben verfasst. Darin versichert sie, dass Memorial im Fall eines Diebstahls oder einer Beschädigung die Tafeln kostenlos ersetzen wird. Kleinere Beschädigungen an der Hauswand, an der die Tafeln angebracht sind, werden bei der Anbringung der neuen Tafel auf Kosten von Memorial beseitigt. Darüber hinaus war Memorial Deutschland als eingetragener Verein bereit, Beschädigungen bis zu einem Wert von 300 Euro zu kompensieren und bei Bedarf auch einen Gutachter zu beauftragen.
Alexander R. hat jedoch beide Unterstützungsbriefe abgelehnt und die Anbringung der Gedenktafeln abgesagt. Er begründete seine Entscheidung damit, dass die Aktion zwar gut sei, ihm das Risiko in der aktuellen Zeit aber zu groß wäre und eine Klärung im Schadenfall wohl auf seinen eigenen Schultern bliebe. Dennoch besteht die Hoffnung, dass im Rahmen der „Letzten Adresse” eines Tages eine Gedenktafel für Wolfgang Schubert, den Sohn von Gerhard und Anna Schubert, der in Berlin-Neukölln lebte, angebracht wird. So würde das Andenken an die Familie Schubert und weitere Gruppenmitglieder gewahrt bleiben.
D.Kazbekov